Quantcast
Channel: Gerichtsurteile – Blog von Nils Güggi
Viewing all articles
Browse latest Browse all 11

Google Street View: die wichtigsten Passagen des BVGer-Urteils

$
0
0

Das Urteil A-7040/2009 des Schweizerischen Bundesverwaltungsgerichts (BVGer) vom 30.03.2011 in Sachen Google Street View hat viel Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen. Das BVGer ist mit dem Urteil der Klage des Eigenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) gegen Google Inc. und Google Switzerland GmbH fast vollumfänglich gefolgt. Die Lektüre des Urteils lohnt sich trotz seines Umfangs von 58 Seiten für den interessierten Juristen, Nichtjuristen hingegen werden sich das Urteil angesichts des Umfangs kaum zumuten. Um das Urteil etwas zugänglicher zu machen, sind nachfolgend sind die wichtigsten Passagen, d.h. ca 1/4, des Urteils aufgeführt und strukturiert eingeordnet. Schliesslich werden am Ende des Beitrags Tipps zu weiteren Informationen und Aufsätzen aufgeführt.

Die Vorgeschichte:

Aufgrund von Meldungen von Bürgern führte der EDÖB eine Untersuchung durch und erkannte, dass in Google Street View u.a. teilweise Gesichter und Autokennzeichen erkennbar bzw. nicht anonymisiert worden seien. Er kam zum Schluss, dass dies gegen die Schweizerische Datenschutzgesetzgebung verstösst, und erliess am 11.9.2009 eine Empfehlung an Google, um den Verstoss zu korrigieren. Google Inc. und Google Switzerland GmbH lehnten diese Empfehlung weitestgehend ab.

Daraufhin hat der EDÖB (Kläger) am 11. November 2009 Klage erhoben und ist mit den folgenden Anträgen an das Bundesverwaltungsgericht gelangt:

“In Form von provisorischen Massnahmen:

1. Google Inc. sowie der Google Schweiz GmbH sei im Rahmen der vorsorglichen Massnahme gemäss Art. 30 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG, SR 235.1) das Aufschalten von in der Schweiz aufgenommenen Bildern bis zum definitiven Entscheid zu untersagen.

2. Google Inc. und der Google Schweiz GmbH seien bis auf Weiteres Kamerafahrten in der Schweiz zu untersagen.

Im Rahmen der Klage:

1. Google Inc. sowie die Google Schweiz GmbH stellen sicher, dass die Veröffentlichung der Bilder im Dienst Google Street View nur erfolgt, wenn Gesichter und Autokennzeichen vollständig unkenntlich worden sind.

2. Google Inc. sowie die Google Schweiz GmbH stellen sicher, dass im Dienst Google Street View die Anonymität von Personen im Bereich von sensiblen Einrichtungen, insbesondere vor Frauenhäusern, Altersheimen, Gefängnissen, Schulen, Sozialbehörden, Vormundschaftsbehörden, Gerichten und Spitälern, gewährleistet ist.

3. Google Inc. sowie die Google Schweiz GmbH stellen sicher, dass der Privatbereich (umfriedete Höfe, Gärten usw.) nicht auf Bildträger aufgenommen wird und die bereits aufgenommenen Bilder aus dem Privatbereich der betroffenen Personen aus dem Dienst Google Street View entfernt werden.

4. Google Inc. sowie die Google Schweiz GmbH stellen sicher, dass die von Privatstrassen aus gemachten Aufnahmen aus dem Dienst Google Street View entfernt werden, sofern keine Einwilligung für die Aufnahmen vorliegt.

5. Google Inc. sowie die Google Schweiz GmbH informieren mindestens eine Woche im Voraus, in welchen Städten und Dörfern in der darauf folgenden Woche Aufnahmen getätigt werden.

6. Google Inc. sowie die Google Schweiz GmbH informieren eine Woche vor Aufschaltung aufs Netz, welche Dörfer und Städte aufgeschaltet werden.”

1) Die verfahrensrechtliche Stellung des EDÖB und die Definition des “Systemfehlers”:

1.1 Der EDÖB klärt von sich aus oder auf Meldung Dritter hin den Sachverhalt näher ab, wenn Bearbeitungsmethoden geeignet sind, die Persönlichkeit einer grösseren Anzahl von Personen zu verletzen (sog. Systemfehler, Art. 29 Abs. 1 Bst. a DSG). Aufgrund seiner Abklärungen kann er empfehlen, das Bearbeiten zu ändern oder zu unterlassen (Art. 29 Abs. 3 DSG). Wird eine solche Empfehlung nicht befolgt oder abgelehnt, kann er die Angelegenheit dem Bundesverwaltungsgericht auf dem Klageweg zum Entscheid vorlegen (Art. 29 Abs. 4 DSG i.V.m. Art. 35 Bst. b des Verwaltungsgerichtsgesetzes[...]).

“Systemfehler” bedeutet in diesem Zusammenhang die Eignung, eine grössere Anzahl von Personen in ihrer Persönlichkeit zu verletzen [...]. Kann die fragliche Datenbearbeitung potentiell zur Schädigung einer grösseren Anzahl Betroffener führen, ist die Schwelle der “grösseren Anzahl” bereits beim Vorliegen einiger weniger Vorfälle erreicht [...]. Vorliegend betroffen sind Abbildungen von Personen, Fahrzeugen und ganzen Strassenzügen mit Blick auf Häuser, Gärten und Höfen aus der Schweiz, die im Internet einem grossen Publikum zur Verfügung gestellt werden. Die umstrittene Datenbearbeitung durch die Beklagten erscheint somit geeignet, die Persönlichkeit einer grösseren Anzahl von Personen zu verletzen.

1.2. Die auf das DSG gestützte Klage des EDÖB richtet sich gegen die Nichtbefolgung bzw. die Ablehnung seiner Empfehlung durch die Beklagten. Die Beklagten bestreiten u.a. die Zulässigkeit der klägerischen Begehren, die Passivlegitimation der Beklagten 2 sowie das Vorliegen von Personendaten und damit die Anwendbarkeit des DSG resp. die Zuständigkeit des EDÖB. Als erstes ist daher abzuklären, ob die Rechtsbegehren des Klägers, wie sie formuliert sind, zulässig sind. Anschliessend ist die Stellung der Parteien zu klären und die Anwendbarkeit des DSG im vorliegenden Verfahren zu prüfen, mithin die Frage, ob der Kläger zur Abgabe der fraglichen Empfehlung sowie zu deren Weiterzug an das Bundesverwaltungsgericht zuständig war, bevor die Recht­mässigkeit des Bearbeitens geprüft wird.

2) Die Kognition des BVGer/was und wie weit darf das BVGer prüfen:

2.3. [...] Gegenstand des vorliegenden Verfahrens kann nur sein, was bereits vom EDÖB im Rahmen des Erlasses seiner Empfehlung geprüft wurde und in diese Eingang gefunden hat [...].

3) Rüge von Google, die Klageschrift des EDÖB sei mangelhaft und daher unzulässig

3.1. Die Beklagten rügen, die Ausführungen in der Klageschrift würden den Sachverhalt nur verzerrt wiedergeben, es fehle an einer klar gefassten Darstellung der Tatsachen, die die gestellten Rechtsbegehren begründen würden, und der Kläger habe es unterlassen, die Begehren so zu formulieren, dass sie sich als nachvollziehbare Konsequenz aus seiner Sachverhaltsdarstellung bzw. seiner rechtlichen Begründung ergeben würden.

[...]

3.4. Die Rechtsbegehren des Klägers sind demnach gemäss den anwendbaren Grundsätzen als hinreichend klar zu bezeichnen und lassen sich im Falle einer Gutheissung – allenfalls mit richterlichen Präzisierungen – zum Urteil erheben. Da der Kläger auch die Tatsachen zur Begründung dargelegt und die entsprechenden Beweismittel genannt hat, erweist sich die Klage insofern als zulässig.

4) Passivlegitimation: Wird mit der Beklagten 2 (Google Switzerland GmbH) die Richtige verklagt?

4.1. In Bezug auf die Passivlegitimation machen die Beklagten geltend, die Beklagte 2 sei nicht an Google Street View beteiligt, sie würde lediglich die auf sie zugelassenen Fahrzeuge der Beklagten 1 zur Verfügung stellen. Die gesamte Kameraausrüstung und sonstige Elektronik gehöre der Beklagten 1. Ebenso würden die Verträge mit den Fahrern im Auftrag der Beklagten 1 abgeschlossen. Die aufgenommenen Bilder würden zudem nicht in der Schweiz weiter verarbeitet, sondern direkt vom Fahrer zur weiteren Bearbeitung in das Street View-Logistikzentrum in Belgien gesandt. Sodann sei gegenüber der Beklagten 2 weder eine Empfehlung ausgesprochen noch ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer solchen eingeräumt worden. Die Beklagte 2 sei somit nicht passivlegitimiert, weshalb auf die Klage gegen sie nicht einzutreten sei.

[...]

4.3.6. Die Beklagte 2 tritt ihren Aussagen zufolge als Vertreterin der Beklagten 1 in der Schweiz auf. Ihre Tätigkeit kann in Bezug auf das Projekt Google Street View jedoch nicht mehr als blosse Ausführung in Vertretung bezeichnet werden, die lediglich die Vertretene verpflichten würde. Zum einen ist [...] für Dritte ein Vertretungsverhältnis zwischen den beiden Beklagten nicht erkennbar. Zum anderen ermöglicht erst die Beklagte 2, indem sie der Beklagten 1 ihre Fahrzeuge zur Verfügung stellt, dass die Strassen in der Schweiz abgefahren und die Aufnahmen getätigt werden können. Sie trägt mithin massgeblich dazu bei, dass der grundlegende (erste) Bearbeitungsschritt, die Aufnahme der Bilder in der Schweiz, überhaupt möglich ist. Daneben behandelt sie auch die Löschungsgesuche, die betreffend Aufnahmen in Google Street View eingehen, und betreibt ein Forschungslabor, das wesentlich für die Entwicklung von Software für den gesamten Google-Konzern zuständig ist. Dass dabei die Immaterialgüterrechte direkt bei der Beklagten 1 entstehen, wie dies die Beklagten geltend machen, ist diesbezüglich nicht relevant. Vielmehr kann hier nicht mehr von einem Vertretungsverhältnis, das nur die Beklagte 1 binden soll, gesprochen werden. Die Beklagte 2 ist daher nicht bloss als Vertreterin, sondern gewissermassen als Gehilfin der Beklagten 1 anzusehen. [...]

4.4. Die Voraussetzung des Bearbeitens gemäss Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Bst. eDSG ist somit in Bezug auf beide Beklagten erfüllt. Im vorliegenden Verfahren gelten demnach sowohl die Beklagte 1 als auch die Beklagte 2 als passivlegitimiert, Letztere jedenfalls was die Rechtsbegehren 2 bis 6 anbelangt.

5) Anwendbarkeit des DSG

5.1. Die Beklagten bestreiten des Weiteren die Anwendbarkeit des DSG. In Bezug auf die Veröffentlichung der Bildaufnahmen im Internet sei das DSG nicht anwendbar, da die Veröffentlichung in den USA stattfinde. Somit sei kein Sachverhalt in der Schweiz zu beurteilen und das DSG finde aufgrund des Territorialitätsprinzips keine Anwendung.

[...]

5.4.1. Das DSG enthält keine ausdrücklichen Bestimmungen zu seinem räumlichen Geltungsbereich. Als öffentlich-rechtliche Bestimmung gilt für Art. 29 DSG das Territorialitätsprinzip [...]. Die Vorschriften des DSG gelten somit nur für Sachverhalte, die sich in der Schweiz zutragen. Da der grundrechtliche Anspruch auf Schutz der Privatsphäre (Art. 13 der Bundesverfassung [...]) weder nach Wohnsitz noch Bürgerrecht unterscheidet, drängt sich für das DSG eine Anknüpfung nach dem Ort der Ausübung der geregelten Tätigkeit, also des Bearbeitens von persönlichen Daten, auf. Mit anderen Worten sind die Gebote und Verbote des DSG aus öffentlich-rechtlicher Sicht auf die Bearbeitung von persönlichen Daten in der Schweiz anwendbar. Unter die Bearbeitung von Personendaten fallen dabei auch die Bekanntgabe solcher Daten ins Ausland und die Sammlung von persönlichen Daten in der Schweiz aus einem Standort im Ausland [...].

5.4.2. Die Aufnahme der Bilder findet in der Schweiz statt, so dass diesbezüglich der räumliche Anwendungsbereich des DSG aufgrund des Territorialitätsprinzips ohne Weiteres gegeben ist, was von den Beklagten auch nicht bestritten wird. Aber auch in Bezug auf die Bekanntgabe der Daten ins Ausland gelangt es zur Anwendung. In Bezug auf die Veröffentlichung der Bilder ist zudem zu berücksichtigen, dass das Aufschalten der Bilder im Internet zwar in den USA erfolgt, die Bilder aber nicht nur in den USA, sondern weltweit, und damit auch in der Schweiz, veröffentlicht werden. Das Territorialitätsprinzip gilt demnach auch für die Veröffentlichung der Bilder. [...]

[...]

5.5.3. [...] Es liegen somit mehrere Beschwerden von betroffenen Personen vor, die sich beim EDÖB beschwert oder von ihm die Untersuchung der Angelegenheit, das heisst die Beurteilung einer etwaigen Verletzung ihrer Persönlichkeit, verlangt haben. Dies genügt als Ausdruck des Willens der Betroffenen, dass der EDÖB Untersuchungen nach Massgabe schweizerischen Rechts vornehmen soll [...].

Somit sind die Voraussetzungen, damit der EDÖB – und letztlich auch das Bundesverwaltungsgericht – einen Sachverhalt bezüglich der Einhaltung des DSG beurteilen darf, für sämtliche, vorliegend streitigen Sachverhalte erfüllt. [...]

6) Datentransfer ins Ausland – Art. 6 DSG

6.1. [...] Gemäss Art. 6 Abs. 1 DSG dürfen Personendaten nicht ins Ausland bekannt gegeben werden, wenn dadurch die Persönlichkeit der betroffenen Personen schwerwiegend gefährdet würde, namentlich weil eine Gesetzgebung fehlt, die einen angemessenen Schutz gewährleistet. Fehlt eine solche Gesetzgebung, können Daten ins Ausland nur unter bestimmten Voraussetzungen bekannt gegeben werden (Art. 6 Abs. 2 DSG). Diese Norm will soweit möglich sicherstellen, dass Personendaten, die den Hoheitsbereich des Schweizer Rechts und damit den engeren Schutzbereich des DSG verlassen, im Ausland dennoch einem Mindestmass an Datenschutz unterliegen oder es gute Gründe gibt, warum ein solcher Datenschutz im Einzelfall nicht möglich ist [...].

[...]

6.3. Demnach ist fraglich, ob vorliegend überhaupt von Datentransfers im Sinne von Art. 6 DSG zu sprechen ist. In Bezug auf die Datenübermittlung in die USA, von wo aus die Aufschaltung der Bilder ins Internet erfolgt, liegt auf jeden Fall keine Datenbekanntgabe vor, da – wie die Beklagten selber geltend machen – die Beklagte 1 bereits bei der Datensammlung in der Schweiz beteiligt ist, ihr bei der Übermittlung in die USA lediglich schon bekannte Daten zugänglich gemacht werden. Es liegt diesbezüglich somit keine Bekanntgabe im Sinne von Art. 6 DSG vor. Aber auch bei der Übermittlung der Bilder nach Belgien erscheint fragwürdig, ob tatsächlich ein Datentransfer stattfindet, da unklar bleibt, inwieweit die Beklagten hier involviert sind. Die Frage kann indes offen gelassen werden, weil die Zuständigkeit des EDÖB und die Anwendbarkeit des DSG so oder so gegeben ist. Denn selbst im Anwendungsbereich von Art. 6 DSG ist zunächst in einem ersten Schritt die Datenbearbeitung nach nationalem Recht zu überprüfen. Hierfür ist der EDÖB unbestrittenermassen zuständig. Erst in einem zweiten Schritt stellt sich die Frage, ob eine Datenbekanntgabe ins Ausland auch zulässig ist. Art. 6 DSG steht der Anwendbarkeit des DSG auf den vorliegenden Sachverhalt somit nicht entgegen; das DSG ist folglich in sachlicher wie auch in räumlicher Hinsicht anwendbar.

7) Bearbeiten von “Personendaten”

7.1. Die Beklagten machen geltend, es lägen keine Personendaten vor. Solche seien nicht gegeben, wenn es dem Publikum vernünftigerweise nicht mehr möglich sei, die in den Aufnahmen in Google Street View abgebildeten Personen eindeutig zu identifizieren. [...]

[...]

7.3. Unter Personendaten (Daten) fallen nach Art. 3 Bst. a DSG alle Angaben, die sich auf eine bestimmte oder bestimmbare Person beziehen. Darunter ist jede Art von Information zu verstehen, die auf die Vermittlung oder die Aufbewahrung von Kenntnissen ausgerichtet ist, ungeachtet, ob es sich dabei um eine Tatsachenfeststellung oder um ein Werturteil handelt. Unerheblich ist auch, ob eine Aussage als Zeichen, Wort, Bild, Ton oder Kombinationen aus diesen auftritt und auf welcher Art von Datenträger die Informationen gespeichert sind. Entscheidend ist, dass sich die Angaben einer oder mehreren Personen zuordnen lassen [...]. Der Begriff der Personendaten setzt somit drei Elemente voraus: Es muss sich um Angaben handeln, diese müssen einen Bezug zu einer Person haben und diese Person muss bestimmt oder bestimmbar sein [...].

[...]

7.6.1. Bei den sog. Rohdaten, also den Daten, die bei der Aufnahme der Bilder entstehen und noch nicht (weiter) bearbeitet, mithin automatisch verwischt worden sind, handelt es sich ohne Weiteres um Personendaten: Personen sind, wie auch der Kläger zu Recht vorbringt, auf diesen offensichtlich bestimmt, jedenfalls wenn es sich um Aufnahmen von Gesichtern oder unmittelbar erkennbaren Einzelpersonen handelt, oder in den überwiegenden Fällen durch situative oder persönliche Umstände (Kleider, Haltung) zumindest bestimmbar.

[...]

Dem Erfordernis der Erkennbarkeit ist Genüge getan, wenn die abgebildete Person in ihrem mehr oder minder grossen Bekanntenkreis erkannt werden kann, wobei zum Bekanntenkreis auch solche Personen gehören, die sie erst in Zukunft treffen wird und die sich noch an die Abbildung erinnern werden [...].

[...]

7.6.3. Die Rohbilder von Personen sind somit klar als Personendaten zu qualifizieren. Dies gilt aber auch für Fahrzeugkennzeichen und Abbildungen von Häusern, Gärten und Höfen, da sich auch hier problemlos ein Personenbezug herstellen lässt. So können Fahrzeugkennzeichen und Häuser ohne grossen Aufwand Personen zugeordnet werden und es muss auch damit gerechnet werden bzw. es ist nicht auszuschliessen, dass Dritte ein Interesse an diesen Angaben haben und entsprechend bereit sind, eine Identifizierung vorzunehmen [...].

Die Beklagten bearbeiten [...] diese Daten aus der ganzen Schweiz und stellen sie im Internet einem grossen Publikum zur Verfügung. Dieses Vorgehen ist denn auch geeignet, die Persönlichkeit einer grösseren Anzahl von Personen zu verletzen; das Vorliegen eines Systemfehlers im Sinne von Art. 29 Abs. 1 Bst. a DSG ist daher zu bejahen (vgl. E. 1.1).

8) Rechmässigkeit der Bearbeitung der Personendaten

8.1. Wer Personendaten bearbeitet, darf dabei die Persönlichkeit der betroffenen Personen nicht widerrechtlich verletzen (Art. 12 Abs. 1 DSG). Insbesondere dürfen Personendaten nicht entgegen den Grundsätzen von Art. 4 DSG oder ohne Rechtfertigungsgrund gegen den ausdrücklichen Willen der betroffenen Person bearbeitet werden (Art. 12 Abs. 2 Bst. a und b DSG). Art. 4 DSG verlangt, dass Personendaten nur rechtmässig bearbeitet werden dürfen (Abs. 1), dass ihre Bearbeitung nach Treu und Glauben zu erfolgen hat und verhältnismässig sein muss (Abs. 2), dass Daten nur zu dem Zweck bearbeitet werden, der bei der Beschaffung angegeben wurde, aus den Umständen ersichtlich oder gesetzlich vorgesehen ist (Abs. 3) und dass die Beschaffung der Daten und insbesondere der Zweck ihrer Bearbeitung für die betroffene Person erkennbar sein muss (Abs. 4). Ist für die Bearbeitung von Personendaten die Einwilligung der betroffenen Person erforderlich, so ist diese Einwilligung erst gültig, wenn sie nach angemessener Information freiwillig erfolgt. Bei der Bearbeitung von besonders schützenswerten Personendaten oder Persönlichkeitsprofilen muss die Einwilligung zudem ausdrücklich erfolgen (Abs. 5). [...]

[...]

Schon allein die Aufnahme des Bildes kann eine Persönlichkeitsverletzung bedeuten. Die Veröffentlichung des individualisierenden, das heisst nicht rein zufälligen Bildes ohne Einwilligung des Betroffenen stellt demgegenüber immer eine Persönlichkeitsverletzung dar, und zwar unabhängig davon, ob bereits die Aufnahme unrechtmässig erfolgte [...]. In der Literatur umstritten ist die Behandlung der sog. Staffage, wenn Personen sozusagen als Beiwerk Teil der Landschaft, Umgebung oder des Ereignisses bilden. [...]

[...]

Das Recht am eigenen Bild:

8.2.4. Das Vorgehen der Beklagten, Strassenzüge in der Schweiz abzufahren und fotografisch aufzunehmen, betrifft zweifelsohne das Recht am eigenen Bild, zumal dabei unbestrittenermassen auch Personen aufgenommen werden. Diese Personen sind erkennbar im Sinne des Datenschutzgesetzes [...]. Fraglich ist, ob sie sozusagen als Beiwerk zufällig auf den Bildern erscheinen und damit [...] ihr Recht am Bild nicht verletzt sein sollte. So könnte bei Aufnahmen von öffentlichen Plätzen, auf denen sich grössere Massen von Personen aufhalten, oder bei Szenen in Stadtzentren die Ansicht vertreten werden, dass Personen, die etwa auf dem Bundesplatz in Bern oder der Bahnhofstrasse in Zürich abgelichtet sind, blosses Beiwerk darstellten. Es liesse sich argumentieren, der Einzelne verschwinde in einem solchen Bild derart in der Masse, dass er nicht wahrgenommen würde, mithin sein Persönlichkeitsrecht nicht verletzt sei. Die entscheidende Problematik ist aber, wie der öffentliche Raum abgegrenzt wird, was alles als solcher zu gelten hat. Die soeben genannten Beispiele, der Bundesplatz oder die Bahnhofstrasse, werden allgemein als öffentliche Plätze oder Strassen wahrgenommen. Dasselbe trifft auf verschiedene weitere öffentliche Plätze in Stadtzentren zu, doch wird die Abgrenzung bereits schwierig, wenn es sich etwa um einen belebten Platz in einem Wohnquartier handelt oder ein Dorfzentrum betroffen ist. Es ist sodann möglich, dass ein Einzelner auf einem Bild in der Masse verschwindet, es gibt aber durchaus auch Fälle, wo dies gerade nicht der Fall ist. Ausserdem mag zwar das Stadtzentrum in der Regel als öffentlicher Bereich angesehen werden, der Einzelne, der aber beispielsweise als Kunde oder als Inhaber eine Apotheke betritt, dürfte sich in seinem Privatbereich betroffen fühlen. Ebenso wird eine Quartierstrasse grundsätzlich dem öffentlichen Raum zugeschrieben und von einem zufälligen Passanten auch als solche wahrgenommen. Für die Menschen, die in dieser Strasse wohnen, gehört sie jedoch zum privaten Raum. Je nach Blickwinkel verändert sich somit die Zuordnung zu öffentlichem oder privatem Bereich. Eine klare Abgrenzung, welcher Ort und welche Situation jeweils noch als sich im öffentlichen Raum abspielend zu betrachten ist, lässt sich nicht ziehen. Insofern kann nicht verallgemeinernd davon gesprochen werden, im öffentlichen Bereich sei stets von Beiwerk auszugehen.

Von vorne herein klar sieht es aus bei Aufnahmen in Wohn- oder Industriequartieren und allgemein weniger belebten Gegenden, aber auch auf öffentlichen Plätzen, wenn einzelne Personen gut sichtbar auftreten. Hier erscheinen die Personen teilweise sehr deutlich und können mit der Zoom-Funktion auch näher herangeholt und vergrössert werden. In diesen Fällen ist die Grenze zu blossem “Beiwerk” überschritten. Vielmehr werden hier die betroffenen Personen schon beinahe individualisiert, auch wenn dies nicht Zweck der Anwendung ist. Daran ändert – entgegen den Ausführungen der Beklagten – nichts, dass es der Betrachter sei, der die Auswahl eines Bildausschnittes treffe. Die Aufnahme und Veröffentlichung der Bilder, und damit die Verschaffung der Möglichkeit, diese näher zu betrachten, erfolgt durch die Beklagten.

Zudem überzeugt die Lehrmeinung, wonach das informationelle Selbstbestimmungsrecht – auch bei allfälligen Staffagen – nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein soll, sondern im Falle einer Persönlichkeitsverletzung vielmehr stets eine Interessenabwägung vorzunehmen sei. Dabei zeigt sich, dass im vorliegenden Fall das Interesse der Allgemeinheit an der Kenntnisnahme des Ereignisbildes bzw. das (wirtschaftliche) Interesse der Beklagten am Projekt Google Street View dasjenige am Recht auf das eigene Bild in keinem Fall zu überwiegen vermag, ist doch eine weitergehende bis absolute Unkenntlichmachung der Bilder möglich und – wie noch zu sehen sein wird – verhältnismässig [...].

Nicht ausgeschlossen ist schliesslich, dass auch missliche oder anderweitig unangenehme Situationen aufgenommen und für ein grosses Publikum veröffentlicht werden oder Personen und Fahrzeuge auf Bildern im Bereich von sensiblen Einrichtungen [...] erscheinen. Die Befürchtung von Betroffenen, dass daraus möglicherweise falsche oder sie persönlich belastende Schlüsse gezogen werden könnten, ist nicht von der Hand zu weisen. Dasselbe muss für Gärten und umfriedete Höfe gelten, wie dies der Kläger vorbringt. Auch diese werden von der Privatsphäre umfasst und es ist – selbst wenn sie gemeinhin von Passanten wahrgenommen werden können – ein Unterschied, ob sie bloss im Vorbeigehen momentan zur Kenntnis genommen oder aber auf Fotos aufgenommen und (auf Dauer) im Internet veröffentlicht werden. Es liegt daher in den meisten Fällen eine Persönlichkeitsverletzung und damit eine Verletzung des Rechtmässigkeitsprinzips vor.

[...]

Die Zweckmässigkeit und die Erkennbarkeit der Datenbearbeitung:

8.3.3. Die Beklagten fahren mit speziell dafür ausgestatteten Personenwagen auf Schweizer Strassen (bzw. nunmehr auch auf Skipisten oder innerhalb von Gebäuden). Auch wenn die Fahrzeuge nur unauffällig als Google-Fahrzeuge gekennzeichnet sind, fallen sie mit der Kameraausrüstung auf dem Dach tatsächlich auf. Doch kann daraus allein ein Passant nicht auf den Zweck dieser Fahrzeuge – Schweizer Strassenzüge (etc.) systematisch abzufahren und aufzunehmen – schliessen. Noch viel weniger ist ersichtlich oder erkennbar, dass die getätigten Aufnahmen im Internet veröffentlicht werden sollen. Zwar geniesst Google Street View auch in der Schweizer Bevölkerung einen hohen Bekanntheitsgrad; doch bedeutet dies noch nicht, dass jeder und jede darüber informiert ist und, sollte sie einem Fahrzeug begegnen, dies auch sofort als Google-Fahrzeug, das gerade am Aufnahmen tätigen ist, erkennen kann. Soweit Kontrollnummern aufgenommen werden, ist der Zweck der Bearbeitung für die betroffene Person offensichtlich ohnehin nicht erkennbar. Dass die aufgenommenen Bilder von Passanten sodann nicht nur als Beiwerk anzusehen sind bzw. dass Umfang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im Rahmen einer Interessenabwägung mit den vorab wirtschaftlichen Interessen der Beklagten zu bestimmen ist, wurde bereits dargelegt [...]. Auch vermag die jeweils eine Woche im Voraus erfolgende Information im Internet über aufzunehmende Gebiete nicht zu genügen. Einerseits kann nicht erwartet werden, dass sich potentiell betroffene Personen regelmässig (oder überhaupt) auf der Internetseite von Google Street View informieren, andererseits ist, selbst wenn diese Information zur Kenntnis genommen werden sollte, mit der Kenntnisnahme als solcher noch keine hinreichende Erkennbarkeit gewährleistet. Die Datenbearbeitung der Beklagten verletzt damit sowohl das Zweckmässigkeits- als auch das Erkennbarkeitsprinzip.

Verhältnismässigkeit der Datenbearbeitung

8.4. [...] Aus dem allgemein geltenden Verhältnismässigkeitsgrundsatz lässt sich für die Datenbearbeitung ableiten, dass ein Datenbearbeiter nur diejenigen Daten beschaffen und bearbeiten darf, die er für einen bestimmten Zweck objektiv tatsächlich benötigt und die mit Blick auf den Bearbeitungszweck und die Persönlichkeitsbeeinträchtigung in einem vernünftigen Verhältnis stehen [...].

[...]

8.4.3. Vorliegend umstritten ist insbesondere die Frage der Verhältnismässigkeit im engeren Sinn, das heisst die Frage, ob die Datenbearbeitung durch die Beklagten in einem vernünftigen Verhältnis steht zum Eingriff, den diese in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen bedeutet [...]. Die sich gegenüberstehenden Interessen sind einerseits das Recht auf Achtung der Privatsphäre und das Recht am eigenen Bild der betroffenen Personen, andererseits die von den Beklagten vorgebrachten privaten und öffentlichen Interessen. Auf der einen Seite stehen somit die Rechte Betroffener, die selber oder deren Häuser, Wohnungen, Fahrzeuge auf Bildern aufgenommen und auf Google Street View für jedermann frei zugänglich veröffentlicht werden. Auf der anderen Seite sind die wirtschaftlichen Interessen der Beklagten zu verzeichnen, konkret das Interesse keinen finanziellen (Mehr-)Aufwand für eine manuelle Unkenntlichmachung von nicht automatisch genügend verwischten Bildern leisten zu müssen [...].

[...]

Für den vorliegenden Fall nicht weiter entscheidend ist zudem das [...] Argument, andere Anbieter würden Abbildungen von Personen oder Fahrzeugkennzeichen unverwischt veröffentlichen. Anders als etwa bei Zeitungsartikeln oder einer Nachrichtensendung werden die Abbildungen auf Google Street View nicht bloss einmal veröffentlicht, sondern sind und bleiben auf Dauer weltweit per Mausklick abrufbar; zudem stehen sich in diesen Fällen andere Interessen gegenüber, so etwa das informationelle Selbstbestimmungsrecht gegenüber der Medienfreiheit. [...].

[...] Es ist denn auch nicht so, dass es den Beklagten finanziell nicht möglich wäre, das Projekt Google Street View unter umfassender Berücksichtigung des informationellen Selbstbestimmungsrechts der betroffenen Personen anzubieten, sie stellen jedoch ihr wirtschaftliches Interesse, den finanziellen Aufwand möglichst gering zu halten und insbesondere die Kostenlosigkeit von Google Street View für die Benutzerinnen weiterhin zu gewährleisten, in den Vordergrund. Dies mag aus unternehmerischer Sicht gerechtfertigt erscheinen, lässt die Datenbearbeitung durch die Beklagten indes in keinem vernünftigen Verhältnis zum Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen stehen [...].

8.5. Die Datenbearbeitung erweist sich somit auch als unverhältnismässig. Folglich verletzen die Beklagten die Grundsätze der Rechtmässigkeit, der Verhältnismässigkeit, der Zweckmässigkeit und der Erkennbarkeit.

9) Haben die betroffene Person die Daten allgemein zugänglich gemacht und eine Bearbeitung nicht ausdrücklich untersagt ( Art. 12 Abs. 3 DSG)?

9.3. Nach der gesetzlichen Vermutung von Art. 12 Abs. 3 DSG liegt keine Persönlichkeitsverletzung vor, wenn die betroffene Person die Daten allgemein zugänglich gemacht hat, ohne die Bearbeitung ausdrücklich zu verbieten. Der Gesetzgeber hat dabei insbesondere an allgemein zugänglich gemachte Daten wie die Personalien einer Person, ihre Berufsbezeichnung, im Telefonbuch veröffentlichte Adressen oder Telefonnummern, im Internet aufgeschaltene Ferienfotos, die ohne ein Kennwort angeschaut werden können, sowie an Daten und Meinungen gedacht, welche die betroffene Person in einer öffentlichen Veranstaltung oder in den Medien über sich selber bekannt gibt [...]. Personendaten sind also allgemein zugänglich, wenn eine unbestimmte Zahl von Personen sie ohne wesentliche Hindernisse in Erfahrung bringen kann. Im Falle von Art. 12 Abs. 3 DSG ist dabei jedoch erforderlich, dass die betroffene Person sie mit Wissen und Willen allgemein zugänglich gemacht hat oder durch einen Dritten zugänglich machen liess. Blosses Dulden der Handlung eines Dritten, ohne etwas zum Zugänglichmachen beizutragen, genügt indes nicht. Weiss etwa die betroffene Person, dass sie betreffende Personendaten allgemein zugänglich gemacht werden sollen (z.B. in Form eines Zeitungsberichts), bleibt sie aber passiv, findet Art. 12 Abs. 3 DSG keine Anwendung [...].

9.4. Im Bereich des Datenschutzes gilt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung [...]. Danach kommt die Herrschaft über personenbezogene Daten und Bilder jeweils der betroffenen Person zu. Zwar sind Personen und Autokennzeichen auf einer Strasse grundsätzlich ohne Weiteres zugänglich, jedoch geht es hier um die besondere Situation, dass Personen nicht bloss auf der Strasse angetroffen werden, sondern deren Abbildungen im Internet veröffentlicht werden. Deshalb kann das Dulden, sofern überhaupt von einem Dulden gesprochen werden kann, von Personenaufnahmen durch Google Street View-Fahrzeuge nicht als Zugänglichmachen gelten. Zunächst dürften die betroffenen Personen in vielen Fällen gar nicht realisieren, dass sie gerade aufgenommen werden. Sodann besteht nicht die Pflicht und häufig gar keine Möglichkeit – sofern eine Person das Fahrzeug überhaupt bemerkt und sich der Aufnahmen und deren spätere Veröffentlichung auf Google Street View auch bewusst ist – sich in kürzester Zeit von einem sich nahenden Fahrzeug zu entfernen. Hier kann jedenfalls nicht mehr von einem wissentlichen und willentlichen Zugänglichmachen gesprochen werden. Daran ändert auch ein allfälliges nicht wahrgenommenes Widerspruchsrecht nichts, genügt doch ein passives Dulden nicht (vgl. E. 9.3 hiervor). Ebenso liegt, indem Fahrzeuge an Strassenrändern parkiert oder abgestellt werden, noch kein (aktives) Zugänglichmachen der Fahrzeugkennzeichen im Sinne von Art. 12 Abs. 3 DSG vor. Bei Aufnahmen von Privatstrassen oder von Strassen, welche für den Durchgangsverkehr gesperrt sind, sowie vom Privatbereich liegt ohnehin kein willentliches oder geduldetes Zugänglichmachen vor.

9.5. Art. 12 Abs. 3 DSG kommt entgegen dem Vorbringen der Beklagten somit nicht zum Tragen.

10) Liegt ein Rechtfertigungsgrund vor?

Nach Art. 13 Abs. 1 DSG ist eine Verletzung der Persönlichkeit widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist. Abs. 2 zählt exemplarisch Situationen auf, in denen ein überwiegendes Interesse der bearbeitenden Person in Betracht fällt, so etwa wenn Personendaten zu nicht personenbezogenen Zwecken insbesondere in der Forschung, Planung und Statistik bearbeitet und die Ergebnisse so veröffentlicht werden, dass die betroffenen Personen nicht bestimmbar sind (Art. 13 Abs. 2 Bst. e DSG). Demnach kommt ein überwiegendes Interesse der bearbeitenden Person nur in Frage, wenn die veröffentlichten Bilder nicht bestimmbar sind.

[...]

10.4.6. [...] Die Beklagten nehmen im Interesse ihres wirtschaftlichen Erfolgs die allfällige Verletzung der Persönlichkeitsrechte zahlreicher Personen in Kauf. Dabei geht es nicht darum, dass sie ihren Online-Dienst nicht ohne Rücksicht auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen anbieten könnten. Vielmehr wären allfällige Persönlichkeitsverletzungen vermeidbar, würden aber einen finanziellen Mehraufwand für die Beklagten nach sich ziehen, weil sie die Bilder teilweise manuell unkenntlich machen müssten. Der Mehraufwand würde indes die die wirtschaftliche Existenz der Beklagten offensichtlich nicht in Frage stellen; [...]. Sollten der Vorgang der manuellen Verwischung mit derart hohem Mehraufwand verbunden sein, wie dies die Beklagten geltend machen, wäre überdies eine Kostenüberwälzung auf die Benutzer von Google Street View nicht ausgeschlossen, gibt es doch keinen Grund, dass die Anwendung kostenlos angeboten werden muss. Die Vermeidung von finanziellem Mehraufwand sowie das kostenlose und damit wirtschaftlich attraktive Anbieten von Google Street View sind grundsätzlich als gewinnstrebige Interessen der Beklagten anzuerkennen, vermögen aber diejenigen der betroffenen Personen nicht zu überwiegen. Die Kostenlosigkeit von Google Street View lässt sich denn auch nicht als überwiegendes privates oder gar öffentliches Interesse anführen [...]. Genauso wenig vermag der angeblich erzeugte Wettbewerbsdruck durch Google Street View die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen zu überwiegen.

[...]

10.5.2. Von einer Einwilligung der betroffenen Personen kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden, weil die Fotoaufnahmen in der Regel ohne deren Wissen erfolgen, eine Einwilligung daher von vornherein ausgeschlossen ist. Weiter zielt das Argument der Beklagten ins Leere, ihre Fahrzeuge seien gut sichtbar und die Aufnahme von Fotografien weitläufig bekannt, weshalb – sofern jemand nicht aufgenommen werden wolle – ausweichen resp. ein Löschungsbegehren stellen könne. Einerseits sind die Kamerafahrzeuge teilweise schlecht oder erst zu spät sichtbar oder, im Falle eines (Kennzeichen eines) parkierten Fahrzeugs, für den Fahrzeughalter gar nicht erkennbar. Andererseits besteht nicht immer die Möglichkeit, rechtzeitig auszuweichen, um nicht auf das Bild zu gelangen. Ausserdem dürften viele der Aufnahmen ganz ohne Kenntnis der Betroffenen erfolgen. Von einer stillschweigenden oder gar mutmasslichen Einwilligung kann daher keine Rede sein [...].

10.6. Ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse der Beklagten ist somit nicht auszumachen. Da auch keine Einwilligung der Betroffenen besteht, ist kein Rechtfertigungsgrund nach Art. 13 DSG gegeben. Die festgestellte Persönlichkeitsverletzung durch das Vorgehen der Beklagten lässt sich demnach nicht rechtfertigen.

11) Konkrete Antwort auf die Rechtsbegehren des EDÖB

Die Rechtsbegehren 1 und 2 sind ohne Weiteres gutzuheissen. Die Beklagten haben demnach darum besorgt zu sein, sämtliche Gesichter und Kontrollschilder unkenntlich zu machen, bevor die Bilder im Internet veröffentlicht werden. Im Bereich von sensiblen Einrichtungen, jedenfalls soweit sie der Kläger benennt (Frauenhäuser, Altersheime, Gefängnisse, Schule, Sozial- und Vormundschaftsbehörden, Gerichte und Spitäler), sind die Bilder überdies soweit zu anonymisieren, dass nebst den Gesichtern auch weitere individualisierende Merkmale wie Hautfarbe, Kleidung, Hilfsmittel von körperlich behinderten Personen etc. nicht mehr feststellbar sind.

Zu den Rechtsbegehren 5 und 6 ist zu präzisieren, dass betreffend die Information über geplante Aufnahmeorte ein Hinweis auf der Startseite von Google Maps nicht genügt, sondern darüber hinaus auch in lokalen Presseerzeugnissen darüber zu orientieren ist, zumal es potentiell betroffene Personen gibt, die das Internet nicht nutzen, und selbst für den grösseren Teil der Bevölkerung, die das Internet regelmässig nutzen dürfte, eine regelmässige Konsultation von Google Maps – nur um auf allfällige Aufnahmegebiete aufmerksam zu werden -, nicht zumutbar ist. Gleiches gilt in Bezug auf Aufschaltungen von Aufnahmen im Internet.

Ebenfalls ist das Rechtsbegehren 3 insoweit zu präzisieren, als Bilder, die Privatbereiche wie umfriedete Gärten oder Höfe zeigen, die dem Anblick eines gewöhnlichen Passanten verschlossen bleiben, nicht aufgenommen werden dürfen, allenfalls die Aufnahmehöhe entsprechend anzupassen ist, resp. solche bereits vorhandenen Bilder aus Google Street View entfernt werden oder eine Einwilligung einzuholen ist.

Dagegen ist es nicht notwendig, Aufnahmen aus Privatstrassen ohne Einwilligung generell zu untersagen (Rechtsbegehren 4). Vielmehr muss auch hier gelten, dass Aufnahmen und deren Veröffentlichung zulässig sind, sofern sie hinreichend unkenntlich gemacht worden sind und keine Privatbereiche im Sinne von Rechtsbegehren 3 zeigen.

12) Zusammenfassung

Zusammenfassend ergibt sich, dass der EDÖB zum Erlass der umstrittenen Empfehlung an die Beklagten zuständig war und diese zu Recht – sowohl gegenüber der Beklagten 1 als auch gegenüber der Beklagten 2 – ausgesprochen hat. Die Datenbearbeitung durch die Beklagten verstösst gegen die Bearbeitungsgrundsätze des DSG und lässt sich nicht durch überwiegende private oder öffentliche Interessen rechtfertigen. Die Klage des EDÖB erweist sich daher sowohl als rechtmässig als auch als verhältnismässig und ist demnach im Sinne der die Rechtsbegehren teilweise präzisierenden Erwägungen gutzuheissen.

* * *

Weitere Informationen und Beiträge

Nebst den aufgeführten Stellen aus dem Urteil des BVGer sind auch die folgenden Aufsätze und Berichte zum Thema lesenswert:



Viewing all articles
Browse latest Browse all 11

Latest Images





Latest Images